Good Day Sunshine

Es war gegen Ende der 70er Jahre. Ich war damals ca. 12 und lebte seit ungefähr drei Jahren in dieser kleinen Großstadt, geflohen aus einer Kleinstadt, in diesem kleinen Hochhaus. Aus der Wohnung unter uns hörte ich Nina Hagen tönen - progressive Musik dieser Zeit - Musik, die mich nicht berührte, noch nicht. Ich besaß zu dieser Zeit einen dieser Mono-Cassettenrecorder, erworben, weil meine Mutter irgendwen für einen Bücherclub anwerben konnte. Davor musste ich mich mit "Sing mit Heino" (Die ganze Familie sass damals vor dem Fernseher in trauter Eintracht, was damals sehr selten war und sang mit), "Disco, Disco" im Fernsehen und der B 3 TopTen im Radio am Freitagabend zufrieden geben. Meine erste Cassette bekam ich von meiner Oma zu Weihnachten geschenkt - einen Sampler "High Life" mit damals aktuellen Hits, z. B. diesem unsäglichen "Hotel California" von den Eagles. Diese MC interessierte mich eigentlich wenig, wie auch diese ganzen Musiksendungen im Fernsehen und im Radio, wenn ich sich auch regelmäßig sah und anhörte, ein paar gute Sachen waren doch immer wieder dabei, z. B. der ganze Gram von ABBA (Na ja, mein Interesse lag hier eher bei der blonden Sängerin) - aber Musik, die mich mit meiner ganzen Person in Besitz nahm, war das alles nicht.

Bis ich eines Tages auf diese vier Köpfe stieß. Ich saß mit einem Freund auf dem Dachboden seines Elternhaus. Er kramte in einer Cassettenkiste seines großen Bruders herum und holte eine dieser alten BASF-Cassetten hervor. Für seinen Bruder hegte ich sehr große Sympathien, weil er lange Haare trug und geflickte Jeans an hatte, was sich bald zu einer Vorbildfunktion für mich entwickelte. Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, was ich wirklich fühlte, als ich auf dieser Casette zum ersten Mal die Beatles hörte. Es muss wohl das rote Album gewesen sein. Jedenfalls war es wesentlich besser, als alles was ich jemals gehört hatte, und ich wünschte mir deswegen zum Geburtstag eine Cassette von dieser Band. Die ich dann auch bekam. "Greatest Hits" hieß sie. Auf dem freundlichen Cover waren die vier Pilzköpfe bis zu den Schulterpartien in Großformat abgebildet und sahen dich treuherzig an. Im Hintergrund sah man so was ähnliches wie getrocknete Maisblätter. Oder waren es getrocknete Canabisblätter? (Eine Frage die in der langen, umfangreichen Beatles-Geschichte nie geklärt werden konnte). Auf dem Tonträger waren die ganzen Hits bis 1964 versammelt: "Twist And Shout", "I Want To Hold Your Hand", "Please Please Me", "Eight Days A Week". Ein Knaller nach dem anderen. - Einfache Gitarren-Riffs, vorantreibende Drums, eingängige Melodien und ein herrlicher Harmoniegesang.

Für mich ging damals die Sonne auf. Ja, "Good Day Sunshine".- dieser Song in der Langnese-Honig-Werbung, wohl der erste Song der Beatles, den ich gehört hatte, als ich diese Band noch nicht gekannt habe. Honigfarben wurde damals die Welt für mich. Durch gute Noten konnte ich in die Realschule wechseln - ein ungeheuerer Schritt für mein angeknackstes Selbstbewußtsein - wurde ich doch jahrelang als Schulversager und Legasteniker abgestempelt. Den Schulwechsel hatte ich aus eigener Kraft und Motivation geschafft. Es begann dadurch für mich eine Zeit der Emanzipation und die Musik der Beatles und die Lebensgeschichten der vier begleiteten und beeinflussten mich dabei. Ich las Bücher über ihren Werdegang. Ich hatte mein Zimmer mit Beatles-Poster zugepflastert, schnitt jeden Fetzen über sie aus der Zeitung aus und klebte sie sorgfältig in einen Ordner. Ich begann mich bald für Indien und Mahatma Gandhi zu interessieren, ließ meine Haare lang wachsen, engagierte mich in der Friedensbewegung und arbeitete später im Dritte-Welt-Laden mit,

Als im Dezember 1980 John Lennon starb, zeichnete ich über seinen Kopf in jedem Foto und Poster der Beatles ein Kreuz - meine Trauerarbeit, war er doch der erste Mensch, der mir was bedeutete, der gestorben war. Mit den Beatles begann ich mich auch für andere Bands aus den 60ern zu interessieren. Ich kaufte mir Cassetten von den Beach Boys, den Byrds, Them, The Mamas & The Papas und entdeckte im Radio AFN, die am Nachmittag eine Stunde Oldies spielten und "Aus meiner Rocktasche" mit Georg Kostiac auf Bayern 3. Während die anderen Kiss oder Queen auf ihre Ordner schrieben, stand auf meinem Them, Byrds ect. Einmal hat die ein Lehrer von mir gelesen, der damals so Mitte 30 war. Er sah mich daraufhin lange schweigsam an. Seinen Blick habe ich heute noch im Kopf, konnte ich doch damit überhaupt nichts anfangen. Meine MitschülerInnen nannten mich Hippy und einen intellektuellen Kasperl. Die Jungs, mit denen ich damals in der Schule abhing, hörten Hard Rock und ich bekam regelmäßig von ihnen meine Prügel, weil ich meinte, Hard Rock sei Scheiße.

Vor kurzem sah ich im Fernsehen einen Film, der meiner Erlebniswelt von damals sehr nahe kommt: Paul Is Dead. Ein etwa 12jähriger Junge glaubt, in seinem neuen Englischlehrer den Mörder von Paul McCartney entdeckt zu haben. Nach einer Mythe soll Paul McCartney kurz vor der Fertigstellung des Albums "Abbey Road" gestorben sein. Das Cover dieser Platte sollte dies beweisen. Der Film besticht durch seine Wirklichkeitstreue, Früh-80er-Jahre-Lifestyle, die feine Ironisierung der Beatles-Mythen und des Fan-Seins in der beginnenden Pubertät.

Nein, Paul McCartney ist nicht tot, George nicht, Ringo nicht und erst recht nicht John. Nach wie vor kaufe ich jede Neuerscheinung der Band, auch wenn ich die darauf enthaltenen Lieder schon zigmal in meiner Sammlung habe. Zuhause setzte ich mich dann in meinen Schaukelstuhl, höre ihre Musik und esse ein Honigbrot dazu - Good Day Sunshine.

Jürgen Jäcklin
Grüntenstr. 36, D-86163 Augsburg
Hier gibt es noch einen Text und Musik von Jürgen Jäcklin.