Nina Hagen
Die Punk-, UFO-, Feminismus- und Buddhismusschamanin

Sie redet von Ufos, kosmischen Energien, Nächstenliebe, Weisheit und Erleuchtung, doch selbst wenn man es ihr nicht glaubt, fühlt man sich doch nicht unbedingt geködert oder verladen. Selbst wenn man ihr zwei Stunden lang bei nichts anderem als beim Faxen Machen und Grimassen Schneiden zuschaut, nimmt man noch etwas mit nach Haus. In ihrer musikalischen Entwicklung, vom DDR-Schlagerstar zur Berlin-West-Punkerin und New Yorker Disco-Flippmaus gab es nicht einen wirklich tiefen Bruch: die unterschiedlichen Stile und Phasen lesen sich wie ein Kontinuum, ohne daß sich eigentlich was dabei entwickelte; ihre eigensinnige Erotik, ihr verrückter Humor und ihre narzißtische Ästhetik blieben im Kern stets gleich. Niemand sonst standen die stahlflügelförmigen Augenbrauen so gut wie ihr! Nina Hagen Eine Frau, die es schafft, öffentlich in zerissenen Netzstrümpfen, knappen rosanen Gummi­bikinis oder engen Oberteilen aus Nylon aufzutreten, ohne zur Fetisch­­figur reduziert zu werden, muß einfach eine gewisse Seelenpräsenz leisten; und ihr berühmter Schrei: "Haste ne Macke!!?" wurde zum typischen Sound der radikal-femininen Feministinnen. Schon ihre frühen Schlagertexte aus den DDR-Zeiten enthielten mehr als üblich: Hey-hey-hey, wir fahren / Hey-hey-hey, wir fahren aufs Land. / Schwalbe: leih mir Deine Flüge, / Lerche: Dein Frohsinn. / Reiß mich her und hin. / Ich verschleuder meine Zügel, / daß ich mal so bin, / wie ich wirklich bin. / Und ich grüße jeden Baum: / "Guten Tag, Herr Baum!" / Du hast eine Ruh! Dagegen "TV-Glotzer" ist eigentlich ein einfacher Rock-Lauf, über den sie mir ihrer Stimme über diverse Themen, Aus­sag­en... der Punk-Bewegung tremoliert. Sie kann auch, in einer Mischung aus Albernheit und Naivität, alte buddhistische Weisheiten wiedergeben, daß es so klingt, als sei sie beim Spielen mit ihrem Hund von allein draufgekommen, oder für den Tierschutz werben, daß es so aussieht als bediene sie sich der tumben Promotion aus purer Unschuld und schlichtem Glauben an das Gute im Menschen und in der Welt. Weder ihre Biographie "Ick bin een Ber­liner" noch der Kinofilm über sie "Khali, Punk und Glory" sagen wirklich etwas über ihre Per­son aus; es gibt wenig Kunstfiguren, die so konsequent Kunstfiguren sind, außer vielleicht Warhol und Bowie, die sich indes vor lauter Konsequenz fast schon wieder in der Künstlichkeit verloren. Eigentlich muß man Nina Hagen für voll nehmen, weil für halb keine zweite Hälfte bekannt ist und sie für Nichts deutlich zuviel ist. Die Unterscheidung von Masche und Echt macht sie hinfällig. Man kann ihr auch vier Stunden beim Zappeln und Hampeln zuschauen und es immernoch für Kunst halten, weil sie für Augenblicke alles da rein legt und es an- und abstellen kann wie auf Knopf­druck. Ihre Faxen und ihr Geschwätz über Erleuchtung machen weder sie lächerlich noch lästern sie Gott. - und wenn sie einfache Kleidung trägt und eine Perücke aus langen blonden Locken­haar, erinnert sie an das Wesen einer typischen Ostdeutschen: boden­ständig-praktisch, einfach gestrickt, kumpelhaft und fast ein bißchen burschikos. Kaum jemand sonst ist so gött­lich und so menschlich wie sie gleichzeitig.

Thomas Nöske
Aus dem Buch Pop-Schamanismus von Thomas Nöske & HEL (ISBN 3-932325-99-0). Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Edition Minotaurus im Klaus Bielefeld Verlag.