Rockin' Rhizome
Ein Buch muß mit etwas anderem "Maschine machen", es muß ein kleines Werkzeug für ein Außen sein.Wer denkt, HipHop sei Musik, in der die menschliche Stimme, in Form der zentralen Gestalt des Rappers, ihren Platz behauptet, muss alle Hoffnung fahren lassen, wenn er diese Kassette hört. Wer dagegen findet, dass diese Präsenz eines Sprechers etwas unglaublich Nerviges haben kann, der findet hier ein exzellentes HipHop-Album, das dieses Problem gar nicht kennt - hier ist die Stimme nicht vorgesehen. Nur fragmentierte, medial zugerichtete Stimmen - Samples aus anderen HopHop-Platten ebenso wie Filmdialogschnipsel - Stimmen, die gerade in ihrer Flüchtigkeit und Gebrochenheit soziale Wirklichkeiten in Europa (die Suburban Skulls kommen aus den Suburbs von Zürich) besser auf den Punkt bringen als die Einzelmeinung eines Rappers. Der, so unterprivilegiert sein Background sein mag, sich in seiner künstlerischen Praxis ja mitunter dann doch das Privileg herausnimmt, dem Hörer das Ohr abzukauen. Ein Privileg, das ich als Hörer fragwürdig finden muss.
- Gilles Deleuze/Félix Guattari in RhizomDas gilt natürlich nicht nur für Bücher, sondern auch für Tonträger.
- gebrauchtemusik
Und zwar deshalb, weil dieses "betroffene Nacherzählen" der (mal angenommen, es handelt sich um "sozialkritischen" Rap) schlechten Wirklichkeit gerade jene komplexen Spannungen zwischen den Sachverhalten konsumierbar macht, wegen denen die Situation, die als unerträglich denunziert werden soll, unerträglich ist. Die Suburban Skulls dagegen machen keine solche Abbildung der Wirklichkeit, sondern Karten. Das zentrale Instrument ist hier der Sampler, der Sounds und Stimmen als Zitate der Außenwelt so verknüpft, dass in den Tracks die Verbindungslinien und Bruchstellen zwischen Elementen dieser Wirklichkeit sichtbar werden.
Zwei Beispiele: Die Art und Weise, wie im Opener Eurofunk Elemente aufeinandertreffen - ein zynisches Film-Sample über Fließbandarbeit (Chef zum Arbeiter: "Das ist Wirtschaft. Das verstehen Sie nicht."), ein Beat, der dahinwalzt wie ein Panzer durch das Stadtzentrum von Genua beim G8-Gipfel, und sehnsuchtsvolle Geigenmelodien, die im Gehirn des gemeinen Mitteleuropäers als osteuropäisch codiert sind - stellt mir viel nachdrücklicher die Frage, wer eigentlich mit der Osterweiterung der EU welche (üblen) Interessen verfolgt, als jeder noch so kritische Artikel zu dem Thema. Und die Stelle in Eraserbrain, wo nach dem Sample einer Frauenstimme ("Ich liebe dich so sehr, dass es weh tut. Wenn du mich nicht mehr liebst, bin ich tot."), ein Beat einsetzt, der Disco-Basslines mit Splatter-Schreien verknüpft, darf man getrost zu den besten Schockmomenten der Popgeschichte zählen - und sie sagt auf jeden Fall mehr zur Widersprüchlichkeit von erotischer Anziehung und Abstoßung, Liebe und Entfremdung, Ambivalenz des Begehrens (ha!) als nahezu alles, was dazu gern gesungen wird.
Die zentrale Funktion der Stimme des Rappers im traditionellen HipHop, die die Identität des sprechenden Subjekts herausstreicht, ist innerhalb der westlichen Metropolen letztlich konservativ, weil trotz all ihrer kritischen Aussageinhalte allein durch den Akt des Aussagens ein Identitätsmodell "rettet", das darüber hinwegtäuscht, dass jedes Subjekt aus einer Vielheit von widerstreitenden Tendenzen besteht, die sich der Kapitalismus zunutze macht, der selbst ein großes Verknüpfungssystem ist. "Es gibt", wie Deleuze und Guattari schreiben, "keinen Kapitalismus an sich; der Kapitalismus liegt im Schnittpunkt von allen möglichen Formationen, er ist von Natur aus immer Neokapitalismus", eine Maschine, die ständig neue funktionale Verknüpfungen herzustellen versucht. Um dieser Maschine beizukommen, brauchen wir eine abstrakte Maschine, die ein MEHR an ANDEREN Verknüpfungen herstellt, die die Funktionalität ÜBERSCHREITEN. Die Musik der Suburban Skulls, wie die ihrer Kollegen von Negative Trip, die dieses Album mitproduziert haben - konsequenterweise verwischen die Namen die Grenzen von Bandkollektiv und "Einzelperson" - ist eine solche abstrakte Maschine. Abstrakt übrigens auch im rein klanglichen Sinn, wie an dem bemerkenswerten Glitch-&-Click-Track Prolovic Klan zu hören ist; hier ist das Arbeitsmodell HipHop völlig aufgegeben worden, auch "Musik" insgesamt ist hier nur noch als Grenzfall vorhanden - ein deutliches Zeichen, dass die Suche nach einem Außen hier ernst genommen wird.