Pegnitz-Zeitung

Die junge PZ, 17.01.04

Rock’n’Roll kommt aus dem Landkreis

(PZ) Die beiden Schülerreporter der Pegnitz-Zeitung, Stefan Arnold und Bettina Pfister vom Christof-Jacob-Treu-Gymnasium in Lauf, trafen sich in Schnaittach mit dem „Schlagersänger“ El Retardo, um mit ihm über Punkrock im Schnaittachtal zu reden. Dabei kam El Retardo auf ein Thema zu sprechen, das - auch überregional - für einigen Zündstoff sorgen dürfte.

PZ: Viele Leute wussten gar nicht, dass du in Schnaittach aufgewachsen bist. Die kennen deine CD „Fortschritt und Schönheit“ e.V., weil sie an der Theke im Laufer JUZ letzten Winter rauf und runter lief.
ER:
freut mich total, das zu hören. Ich meine, ich war immer beim Indie-Abend am Freitag im JUZ und hing meistens auch an der Theke rum. Im Keller haben wir 1997 das Demo-Tape für „das trunkene lied“ aufgenommen.

PZ: gestern haben wir dich ja mehr zufällig in der Fußgängerzone in Nürnberg gesehen; wir wussten gar nicht, dass du Straßenmusik machst.
ER:
auf jeden Fall! Wenn in der Fußgängerzone jemand stehen bleibt, um zuzuhören, das ist für mich immer das Höchste. Am meisten freue ich mich, wenn das schöne Frauen sind (lacht).

PZ: du hast da ein Lied gespielt, das wir total toll fanden, das wir aber noch nie gehört hatten. War das von dir? Ich glaube, das Lied bestand nur aus diesem einen Refrain, den du ganz am Schluss ein paar Mal gesungen hast.
ER:
meinst du „Ich fühl’ mich wie eine Flasche alkoholfreies Bier auf einer Rockerparty“?

PZ: ja, genau das. Der Text ist abgefahren. Wie bist du auf dieses Bild gekommen?
ER:
ich wollte jetzt zum Jahresanfang mal ein paar Wochen keinen Alkohol trinken. Und da trinke ich öfter alkoholfreies Bier. Da kann man es sich eigentlich auch gleich abgewöhnen, so ätzend schmeckt das. Aber wenn ich eine deftige Mahlzeit esse, was ich oft tue, dann gehört für mich eine Halbe Bier einfach dazu. Naja, und als ich neulich so an meinem alkoholfreien Bier gezogen habe, da dachte ich: was wahre Einsamkeit, das Gefühl, alleine am Rande zu stehen bedeutet, das kann vielleicht eine Flasche alkoholfreies Bier nachempfinden, die auf einer Rockerparty herumsteht.

PZ: in deinen Texten geht es ziemlich oft um Liebe zwischen zwei Menschen oder präziser, um eine „Aldde“, die immer irgendwo mehr oder weniger deutlich zwischen den Zeilen da ist.
ER:
neulich habe ich im Internet so einen Satz gelesen, aus einem Interview mit Ulf Poschardt - er ging irgendwie so: „es ist schwer, eine Frau zu finden, die bei Tempo 300 auf dem Beifahrersitz lacht, aber es gibt sie“. Und das war nicht bildlich gesprochen. So komisch dieser Satz einerseits klingt und so sehr er von einem Ferrarifahrer kommt, so sehr beschreibt er andererseits absolut mein Verständnis von Liebe und auch von Musik.

PZ: El Retardo zitiert Ulf Poschardt, den „Theoretiker der Generation Golf“?
ER:
was mir an dem Zitat gefällt - wenn das überhaupt wirklich so von Poschardt gesagt wurde - ist diese Liebe, der es scheißegal ist, dass das eigentlich der Wahnsinn ist, 300 zu fahren, total bekloppt. Und der Fahrer, der sowas tut, muss eigentlich ein großer Spacken sein. Aber es ist halt Liebe. Und diese Aldde ist die, die in meinem Liedern vorkommt, glaube ich...

PZ: aber ist das Punk?
ER:
ich befürchte, es ist eher Hip-Hop.

PZ: El Retardo, was ist Punk?
ER:
ihr spielt auf diesen Fake-Artikel an, der auf der Seite von www.gebrauchtemusik.de diese Diskussion losgetreten hat. Ich habe keine Meinung zu diesem Thema. Mich interessieren andere Dinge inzwischen mehr: wusstet ihr, dass Rock’n’Roll aus dem Landkreis Nürnberger Land kommt?

PZ: kein Scheiß?
ER:
ihr wart noch nicht auf der Welt, aber ich erinnere mich an Zeiten, Anfang der achtziger Jahre, da haben Amerikaner und manchmal auch Kanadier hier sämtliche Äcker und Feldwege mit ihren Herbstmanövern ruiniert. Weil im Herbst, wie wir alle wissen, Karpfenzeit ist und es sich herumgesprochen hatte, dass es die besten Karpfen im Landkreis in Rockenbrunn gibt, sind die Soldaten oft zur Manöverzeit dort abends eingekehrt. Weil Rockenbrunn so schwer auszusprechen ist, haben sie es „Rock“ abgekürzt. Eines Abends gründeten dort vier GIs eine „interracial Army-Combo“. So nannten das die authorities der Army. Zwei von ihnen waren normalerweise bei den Funkern in Fürth und zwei waren bei der Infanterie in Vilseck stationiert. Weil die Infanterieeinheiten immer in Rollhofen ihr Camp hatten, haben sie dann die Band einfach „The Rock’n’Rollers“ genannt. Daher kommt die Bezeichnung für diese Musikrichtung. Naja - und die Musik, die die Jungs gemacht haben, das kennt ihr ja dann von den kurz darauf in Memphis erscheinenden Platten. Die Rock’n’Rollers haben übrigens nur drei Konzerte gespielt. Beim Abschiedskonzert in der Halle des Maschinenrings in Diepersdorf waren mehr MPs (Military Police - PZ) als Zuschauer im Publikum, so haben die Leute abgehaust.

PZ: El Retardo, vielleicht hast du uns damit berühmt gemacht.
ER:
ihr könnt das alles so schreiben. Das ist mir gleich, es musste endlich raus. Ich habe diese volksetymologischen Deutungen so dermaßen satt. Die Memphismafia hat kein Interesse daran, dass ich damit an die Öffentlichkeit gehe. Die haben mir massiv gedroht. Aber El Retardo bewegt sich schnell.

PZ: danke für dieses Gespräch.

Zum Weiterlesen: Weitere Enthüllungen von El Retardo, und zwar über Johnny Cash, sowie einen Artikel von El Retardo über Thorsten Propeller.